Chaos und Ordnung
- Malerei und Tuschezeichnungen von Jürgen Kellig

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Rede zur Ausstellungseröffnung, Galerie Artae
31.01.2014 von Sabine Aichele-Elsner M.A.

...Im Zusammenhang mit Abstrakter Kunst dürften natürlich die Entwicklungen des De Styl mit seinem Hauptvertreter Piet Mondrian, die musikinspirierten und expressiven Arbeiten und Theorien des Wassily Kandinsky nicht fehlen. Die Farbtheorie von Paul Klee hätte ich wahrscheinlich auch gestreift. Bezüglich abstrakter Kunst hätte ich den Strang und die ordnungsüberhöhende Richtung der konkreten Kunst nur gestreift, da es zwar formale Bezüge zu Jürgen Kellig gibt, aber seine Entwicklung und Herangehensweise eine andere ist. Kelligs Ausgangspunkt in der Kunstgeschichte ist beim Informel zu finden. Er begann mit abstrakten Bildern, deren Spuren, Sinnlichkeit und Material wichtig sind. Er nannte diese Arbeiten: Wüstenbilder. Die Oberfläche wurde regelrecht malträtiert, Leinwand geknickt, geklebt, verletzt und verspurt. Motivation und Hintergrund dazu, waren seine Weltreisen. Nicht die grellen und bunten Regenwälder, Flora und Tierwelt, sondern die unscheinbaren kleinen Spuren im Sand der Wüsten interessierten ihn. Wo entsteht Leben? Was bietet uns die Welt an Ursprünglichkeit? Das sind die Fragen, die ihn umgetrieben haben. Erst nach den Wüstenbildern entstanden die flächigen, wahnsinnig farbenfrohen Streifenbilder, die immer in Korrespondenz zueinander stehen und kontemplativ-emotional erfahrbar sind. Es kamen die Materialien Papier und Tusche hinzu, es wurde gestisch und linear, was die Papierarbeiten bis heute geblieben sind. Beeindruckend ist, dass Jürgen Kellig rein intuitiv vorgeht. Er gehört zu den sensiblen Künstlern, die die Welt und das Weltgeschehen aufsaugen und mit ihrer Kunst subtil kommentieren und reflektieren. Da sich mittlerweile nicht nur in Berlin, sondern in allen Kunstzentren, abstrakte Kunstkreise bilden, wozu Jürgen Kellig zweifelsohne dazu gehört, wollte ich mir lieber Gedanken machen, was uns diese Kunst heute und jetzt sagt oder sagen könnte.
Diese Arbeiten, sowohl die Zeichnungen als auch die Malerei stehen ja nicht ohne Kontext im Raum. Konkret heisst das zum Beispiel, dass wir alle uns z.B. in der realen und virtuellen Welt vernetzen. Ob reflektiert oder nicht, stellt fast jeder seine Daten online. Der Drang nach Informationsaustausch ist immens und teilweise beachtlich, wie weit mancher geht. Dabei wird sich selten gewundert, dass dies alles von Dritten gespeichert, verwertet und erspäht wird. Die Vor-und Nachteile einer offenen Vernetzung werden wenig reflektiert. Selbst die Bespitzelung und Dauerüberwachung durch die NSA lässt uns kalt, entlockt höchstens ein Grinsen, wenn wir hören, dass Kanzlerin sich aufregt, wenn ihr Handy abgehört wird. Netze und Netzwerke sind also meines Erachtens völlig aktuelle Themen, die uns bestimmt noch lange begleiten werden.
Ein weiteres Thema, das mir zu der Malerei von Jürgen Kellig einfällt ist der Individualismus. Die einzelnen Punkte -alle übrigens aus Sekundär-bzw. Tertiär Farben, sind für mich ein Symbol von Individualismus. Als Individuen haben wir durchaus Ähnlichkeiten mit anderen, aber wie grenzen wir uns ab. Was macht uns aus und wie können wir unser Ich entwickeln? Wie ist bei der Medienpräsenz eine eigene Position möglich? Durch weltweite Nachrichten und Infos haben wir die Möglichkeit, uns überall zu vertiefen, aber stimmt dies auch mit der Wirklichkeit überein? Der Punkt, der übrigens in keinem Bild ein völlig kreisrunder ist, als Symbol für Persönlichkeit. Doch das ist meine Interpretation, der Künstler nennt seine Malerei "micro - macro" und setzt damit einen Schwerpunkt auf den wissenschaftlichen Kontext. Er knüpft an Physik, Biologie, Chemie und Philosophie an. Micro-Makro thematisiert die Zusammenhänge von Groß und Klein, von Ähnlichkeiten, von Struktur, Kristallinen, Wurzelgeflechten, neuronalen Netzen usw. Wie im Großen, so im Kleinen. Oder wie ein Berliner Bekannter mal sagte: "Wie im Inneren, so auch Außen" - trank einen Schluck Olivenöl und cremte sich damit auch ein.
Was ich beim letzten Atelierbesuch erfahren habe: Jürgen Kellig setzt sich mit orientalischen Fließmustern auseinander. Auch wenn uns diese nach einer Ordnung gelegt erscheinen, sie werden immer durchbrochen - nicht periodische Parkettierung wird dies dann genannt. Die Unordnung und ein Störfaktor spielen eine immense Rolle in der Wirkung der großen Ordnung. Die Struktur wird erst perfekt, wenn es eine Ausgewogenheit zwischen Ordnung und Unordnung gibt. Erst dann entsteht ein Ganzes, das wir als harmonisch empfinden. Man könnte fast mit der Ying-Yang-Theorie aufschließen.
Ganz neu sind die Linolschnitte mit den Titeln "Hanuman", "Struktur" und "Netz". Inhaltlich und formal knüpft der Künstler an seinen Zeichnungen an, nutzt jedoch die Drucktechnik als neues Ausdrucksmittel. Es ist eine andere Arbeit, als z.B. die Gestaltung eines Blattes mit Tusche, das aus dem Bauch, kontemplativ und dennoch technisch perfekt entsteht. Bei den Linolschnitten ist nicht der Weg das Ziel, sondern die Idee muss vorher stehen und technisch ausgeführt werden. Das Blatt "Hanuman" zum Beispiel verlinkt durch den Titel zum Indischen Affengott -ein besonders wilder Affengott. Es ist im Vergleich zu den anderen Werken beinahe figürlich. Wer lange schaut, findet auch den tanzenden Affen. Dieses Blatt kann vom Stil her auch als eine Anlehnung an Keith Haring gesehen werden.
Kelligs Zeichnungen handeln von Dichte, Verdichtungen, Streuungen... . Seine Zeichnungen sind sowohl zart, leicht, schwebend, als auch dicht, garstig und schwer. Die Beschaffenheit der Linien an sich, bzw. der Punktreihen und der von ihr beschrittenen Wege und die entstehenden Rhythmen und Strukturen, stehen hier im Mittelpunkt. Geschwungene Linien werden elegant im Raum stehen gelassen, sodass der Betrachter den ästhetischen Bögen folgen kann. Der Künstler arbeitet auf dem Papier mit Zeichenfeder oder Pinsel und Tusche, und in der Malerei mit Öl auf Leinwand. In der Malerei kommt das Element der Farbe hinzu: schlichte, zumeist punktähnliche Formen überlagern sich und differieren in den Farbklängen. Unüberschaubar viele Schichten wurden übereinander gelagert, so dass eine Räumlichkeit, deren Tiefe einen kontemplativen Moment nicht ausschließt, hervorgerufen, nein, sogar erzwungen, wird. Begegnet man solch einem Bild, bleibt man stehen, verlässt den Raum des Alltages und begibt sich in einen anderen, sagen wir mal, inneren Raum, der natürlich bei jedem Betrachter ganz anders aussieht.
Doch nun zurück zum Titel der Ausstellung. Ein weiterer Kontext, der heutzutage auch Relevanz hat, ist der Titel dieser Ausstellung "Chaos und Ordnung". Nicht nur die Chaostheorie, sondern auch Linearität, Nicht-Linearität, Nonkonformistisches spielen hier eine Rolle. Auch wenn man manchmal denkt, das Leben laufe chaotisch, es ist immer eine Ordnung darin. Man bedenke z.B. so manchen chaotischen Arbeitsplatz. Der Zuständige findet zumeist alles in diesem sogenannten Chaos. Wer kann von sich behaupten, er sei nur chaotisch oder nur ordentlich? In ganz wenigen Viten läuft alles linear, ordnungsgemäss, nach Plan. Aber ist das ein Ziel, das wir verfolgen? Geht es nicht um eine Sache, der wir uns arhythmisch nähern, in der wir uns entwickeln und in unserer Persönlichkeit dann wachsen und aufgehen - im besten Fall? Chaos und Ordnung also nicht als konträre Antipoden, sondern sich gegenseitig bedingende Elemente, die in der richtigen Dosis genau das Salz in der Suppe sind...

Sabine Aichele-Elsner M.A., Galerie ARTAe Leipzig, Januar 2014