Zu den Arbeiten von Jürgen Kellig

Karl-Hans Schumacher, Kurator,
GEHAG Forum, Berlin 2009

Jürgen Kellig zeigt großformatige Bilder, auf denen er im Allover-Verfahren mit Tusche Zeichen und Linien aufgetragen hat. Auf einigen Bildern sind es äußerst feine dünne Striche, auf anderen etwas breitere Linien oder gar nur Punkte. Die Zeichen formieren sich zu Ausschnitten größerer Zusammenhänge und werden von Kellig auch als "Mikro-Makro-Kosmen" benannt. Damit verweist er auf eine Welt, die mit bloßem Auge nicht wahrnehmbar ist. Die Bilder wecken Assoziationen zu Zellkulturen, Nervensträngen und Blutgefäßen. Am Ende sind es jedoch einfach "nur" Zeichen, die Kellig zu großen Feldern anordnet. Chaos und Ordnung sind die dichotomischen Pole seiner Tableaus, in denen sich mal energetische Zentren erkennen lassen und die dann wieder völlig ungeordnet und chaotisch erscheinen.

Karl-Hans Schumacher, Kurator, GEHAG Forum Berlin, 02.12.2009


Rede zur Ausstellungseröffnung "Struktur, Zeichnungen und Skulpturen"
mit Jürgen Kellig, Joachim Griess, beate maria wörz, Hanswerner Kirschmann ",
GEHAG FORUM, Berlin, 02.12.2009,
von Christioph Tannert (Auszug)

Sehr geehrte Damen und Herren,
diese Ausstellung steht unter dem Titel "Struktur, Zeichnungen und Skulpturen", d.h. wir sehen Zeichnungen und Skulpturen und haben es in diesen künstlerischen Feldern mit der Struktur und dem Strukturellen zu tun. Das hört sich nicht einfach an. Ist es auch nicht. Außerdem kommt erschwerend dazu, dass, bis auf ganz wenige Ausnahmen, die Werke der Ausstellung keine Titel tragen. Man sieht, was man sieht. Keines der Kunstwerke beschreibt etwas außerhalb seiner selbst Liegendes. Diese Werke sind nicht gegenständlich, nicht abbildend. Aber da sie nichts in der materiellen Realität Vorhandenes abstrahieren, sondern im Gegenteil Geistiges materialisieren, keinerlei symbolische Bedeutung besitzen und mehr oder weniger rein durch strukturelle oder geometrische Konstruktion erzeugt sind, nenne ich sie konkret. Denn im Wesentlichen haben ihre Bildelemente keine andere Bedeutung als die, die sich aus ihnen selbst ableitet. Mithin lassen sie sich im Bereich der "Konkreten Kunst" verorten. Nichts ist konkreter, wirklicher, als eine Linie, eine Farbe, eine Oberfläche. Wiederum kann man Jürgen Kellig, Joachim Griess, beate maria wörz und Hanswerner Kirschmann nicht über einen Kamm scheren. Denn in der Spezifik der Werke behaupten sie alle ihren sehr eigenen Platz.Wir befinden uns ja nicht mehr im Jahr 1910 als Wassily Kandinsky postulierte, die Kunst habe nur noch ihren eigenen, kunstimmanenten Gesetzmäßigkeiten zu folgen, Kunst sei reine Gegenstandslosigkeit. Heute denken auch Vertreter und Vertreterinnen der Konkreten Kunst kontextbezogen und nicht völlig losgelöst vom Ich bzw. vom sozialen Umfeld. Es gibt also durchaus einen konkreten Eigensinn. Aber Kernpunkt bleibt: Kunst soll zuerst aus sich selbst heraus gedacht sein und sich selbst zum Inhalt haben. Die Frage gegenüber solcher Kunst lautet nicht "Was stellt das dar?", sondern "Wovon spricht die Struktur?" Meistens abstrahieren die Formen nicht ein Naturbild, sondern die Linien, lineare Kürzel, Punkte, Wischer, grafische Elemente sind frei erfunden oder entstammen einer Bewegung der Hand, bedeuten nichts als ihre konkrete Erscheinung selbst. Die Meisterschaft der Künstler besteht darin, die Linien als optische Melodien zum Klingen zu bringen. Und es ist an uns, Genuss zu entwickeln beim Vernehmen, Lesen und Deuten der Chiffren. ...Von Jürgen Kellig sehen wir Ausschnitte aus seiner "Mikro-Makro"-Serie, großformatigen Blättern, die er vorwiegend mit Tusche und Pinseln bearbeitet hat. In einem Blatt gibt es auch einen unübersehbaren Acryl-Weiss-Anteil. Kellig kommt her von der gestischen Malerei, wobei am Anfang immer die Entscheidung für eine bestimmte Art von Strich-Code steht. Die hier präsentierten Arbeiten entstanden seit 2007, wobei der Künstler durchaus den Wechsel zwischen körperlicher Aktion und Meditation suchte, die Spannungsbeziehungen zwischen Verdichtung, Überlagerung und den Unterbrechungen, dem Atemholen im Elemente-Raster. So halten sich extrovertierter Rhythmus und Zur-Ruhe-Kommen die Waage...

Christoph Tannert, Künstlerhaus Bethanien, Berlin